Von der Logistik auf die Leinwand: Preisgekrönte Filmemacherin Joanna Nelson blickt auf ihre Zeit bei Constructor University zurück

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Joanna Nelson, Constructor Alumna, and her film Hambre
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Joanna Nelson, award-winning film maker and Constructor University alumna (Source: Vannel Productions, C.A.)

Menschen mögen klar definierte Kategorien. Das Entweder oder das Oder. Ist man kreativ, hakts bei der Logik, und umgekehrt. Dass das Unfug ist, stellt Joanna Nelson unter Beweis. Nelson ist in vielerlei Hinsicht ein Widerspruch: Trotz ihrer lebenslangen Leidenschaft für Kunst und Film studierte sie Wirtschaft und globale Logistik an der Constructor University Bremen. Seit ihrem Abschluss im Jahr 2013 hat sie für ihre Arbeit als Filmemacherin Auszeichnungen erhalten, ihr Film Harina wurde sogar von HBO gekauft. Für unsere Serie Faces of Constructor sprachen wir mit Nelson über ihre Zeit, Erinnerungen und Einflüsse, darüber wie ihr Leben die lebendige Verkörperung eines interdisziplinären Ansatzes ist, und über ihren neuesten Film Hambre, der bei dem Lateinamerikanischen Filmfest in München seine Uraufführung am 1. Dezember feiert.

 

Joanna, du hast Ihr Studium an der CU 2012 abgeschlossen. Was hast du von Ihrer Zeit auf dem Campus in Erinnerung? 

Ich habe tolle Erinnerungen an meine Zeit an der Uni. Ich glaube, dass diese Jahre zu den besten in meinem Leben gehören. Von einer so internationalen Gemeinschaft umgeben zu sein, ist wirklich etwas Besonderes und hat mich als Person sehr beeinflusst.

Wie kam es dazu, dass du dich für CU entschieden hast? Vermutlich bist du nicht nach Bremen-Schönebeck gekommen, um Filme zu machen?

Das ist der Verdienst von  Marie Vivas (ehem. Director of Admissions). Ich habe sie in Venezuela auf einer Uni-Messe getroffen. Daraufhin hat sie mich und meine Familie Schritt für Schritt durch den Bewerbungs- und Immatrikulationsprozess begleitet. Damals war ich  17 Jahre alt und musste mich entscheiden, was und wo ich studiere. Eigentlich wollte ich Schauspiel studieren, aber meine linke Gehirnhälfte zog mich in Richtung Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften. Ich habe mich schon immer sowohl in der analytischen als auch in der kreativen Branche wohl gefühlt, und es fiel mir schwer, mich für eine zu entscheiden.

Viele meinen, dass es die Menschen sind, die den Ort ausmachen. Kannst du es uns verraten, welche Menschen dich auf dem Campus am meisten beeinflusst haben? Hattest du eine*n Mentor*in oder jemanden, der dir die Inspiration und das Selbstvertrauen gegeben hat, ins Filmgeschäft einzusteigen?

Gute Frage. Eines der ersten Dinge, die ich tat, als ich an die CU kam, war, für die Theatergruppe vorzusprechen, die von Renee Wells (Director of Arts) geführt wurde. Ich kann gar nicht genug betonen, welchen Einfluss er auf mich hatte. Manchmal fühlte ich mich verloren, weil ich Schauspielerin werden und eine künstlerische Laufbahn einschlagen wollte, aber da war ich und studierte Logistik. Andere, die mich beeinflusst haben, sind Professor Steven Ney, der mich für Design Thinking begeistert hat, eine sehr kreative Art, Probleme zu lösen (und ich habe später tatsächlich das Hasso Plattner Institute of Design Thinking besucht). Ich erinnere mich außerdem an Christoph Lattemann, der mir beibrachte, wie wichtig Pünktlichkeit ist! 

Die CU ist nicht in erster Linie als Schule für Filmemacher*innen bekannt. Du hast aber schon Auszeichnungen erhalten und sogar einen Film an HBO verkauft. Gab es eine lebendige Filmkultur, als du auf dem Campus lebtest? 

Um ehrlich zu sein, überhaupt nicht. Streaming-Plattformen gab es noch nicht. Ich glaube, auf dem Campus gab es nichts, was mit Filmen zu tun hatte - aber wir organisierten die Arts Olympix, zu dem auch ein Filmwettbewerb gehörte. Ich habe teilgenommen und den 1. Preis gewonnen. Ich habe die Entenstatue hier im Eingang meines Hauses als Erinnerung daran!

Die allgemeine Kultur an der Universität hat mir aber geholfen zu verstehen, dass man wirklich alles sein kann, was man sein möchte - eine Mischung aus allem auf einmal. Interdisziplinarität ist etwas, das in der Kultur der Universität sehr verankert ist, und das war auch für mich sehr wichtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Möglichkeiten, die uns gegeben wurden, um unsere eigenen Clubs und außerschulischen Aktivitäten zu gründen, mich wirklich zu der Person gemacht haben, die ich heute bin. Ich war im Radioclub, half bei der Gründung einer Rechts- und Wirtschaftsliga, war in verschiedenen Kunstclubs, moderierte etwa dreißig Live-Veranstaltungen, nahm an Talentshows teil und war sogar in der USG (Undergraduate Student Government) und leitete den Ausschuss für Außenbeziehungen.

Woher kommt deine Liebe zum Film? 

Ich liebe es, Geschichten zu erzählen, vor allem solche, die um die Welt gehen und die Sichtweise der Menschen auf wichtige Themen verändern können, wie mein Film Hambre (deutsch: Hunger), der die Krise in meinem Heimatland Venezuela thematisiert. Ich habe immer noch eine Leidenschaft für Theater und Musik.

Du hast gerade deinen jüngsten Film erwähnt, Hambre, der Ende dieses Monats in München uraufgeführt wird. Könntest du ein wenig über deinen Prozess erzählen? Eine Pauschal-Antwort gibt es über den kreativen Prozess für Filme oder Kunst natürlich nicht. Aber wie gehst du von einer Idee oder Inspiration für einen Film zum fertigen Werk vor? Ist das überhaupt etwas, das du quantifizieren kannst?

Der Prozess beginnt als Nicht-Prozess, und damit meine ich, dass ich schon immer das Bedürfnis hatte, zu schreiben. Ich schreibe meine Gefühle auf, ich schreibe Anekdoten, Geschichten. Ideen, die ich für Figuren habe, die ich mir vorstelle, usw. In meiner Uni-Zeit war ich zu einem meiner Besuche in Venezuela, als die Krise begann, wirklich ihren Höhepunkt zu erreichen. Ich befand mich in einem Café, hatte einen Kaffee bestellt und es hieß ,,keine Milch“. Na gut, dann eben schwarz. Dann sagten sie: ,,keinen Zucker." Na gut, Dann wohl kein Zucker. Dann sagten sie, es gäbe nur Leitungswasser und nichts in der Flasche... Just in diesem Moment fuhr ein Tankwagen mit venezolanischem Erdöl vorbei. Die Ironie war immens. Das war der Moment, in dem ich anfing, Szenen über das zu schreiben, was genau dort passierte, was ich in diesem Moment erlebte. Fünf Jahre später drehte und vertrieb ich einen Kurzfilm über Lebensmittelknappheit. Der hieß ,,Harina“ und bedeutet Mehl auf Spanisch. Er war sehr erfolgreich, da wir ihn an HBO verkauften. Daraus entstand die Idee für einen Spielfilm, an dem ich weitere fünf Jahre gearbeitet habe, und ta-da, Tausende von Arbeitsstunden später haben wir Hambre, oder Hunger. Das ist eine sehr lange Geschichte.

Wie würdest du deinen Stil als Filmemacherin charakterisieren? Wer hat dich beeinflusst? 

Einflüsse - das ist insofern eine schwierige Frage, als ich nicht „cinephil“ bin. Ich habe ein paar Jahre lang absichtlich keine Filme und kein Fernsehen geschaut, weil ich mich auf meinen eigenen kreativen Stil und mein Schreiben konzentrieren wollte. Aber nachdem ich das überwunden hatte, habe ich viele klassische und New Age Filmschaffende studiert und ich besuche viele Festivals, um mir einfach Filme von hunderten von Autor*innen anzusehen. Ich bewundere so viele internationale Filmemacher*innen - das ist schwer zu sagen. Ich würde gerne Filme wie Kusturica machen, ein toller serbischer Filmemacher, der Filme über das Verschwinden Jugoslawiens und die Folgen davon gedreht hat. Seine Geschichten und sein Stil sind mir sehr sympathisch, und ich habe das Gefühl, dass die Geschehnisse in Venezuela und die daraus resultierende Massenmigration vieles gemeinsam haben.

 


Hambre spielt in Caracas, Venezuela, inmitten einer dreifachen Krise: Einwanderung, Wirtschaft und Identität. Seine Protagonisten sind ein Idealist, der in Venezuela festsitzt, und ein verwöhntes Mädchen, das nach Italien geflohen ist, aber gegen seinen Willen zurückkehren muss. Wie bist du auf Caracas und diese beiden Protagonisten gekommen? Warum war hier die perfekte Kulisse, diese Themen und Krisen zu untersuchen? Sie sind ja nicht auf Venezuela beschränkt.

Hambre spielt sich zwischen Venezuela und Italien ab, ja. Ich habe das absichtlich so gemacht, weil ich eine venezolanische Figur wollte, die ihr Land nicht mehr wiedererkennt, als sie nach der Migration zurückkehrt - weil das sozusagen meine Geschichte ist. Als ausgewanderte Venezolanerin habe ich mein Land bei der Rückkehr in einem anderen Licht gesehen. Dadurch konnte ich über die Krise aus einer ganz besonderen Perspektive sprechen. Dann haben wir noch die Figur eines Patrioten, der sein Land nie verlassen hat, aber auch das Gefühl hat, nicht mehr dazuzugehören und gehen zu müssen, um eine Zukunft zu finden. Auf diese Weise habe ich zwei Perspektiven der Migration mit dem Thema Venezuela, Identität und Krise verknüpft. Ich habe mehrere Jahre lang an dem Drehbuch gearbeitet, und es hat sich dabei ziemlich verändert, aber die Essenz wurde jedes Mal klarer.

Klassische Frage zum Schluss: Welchen Ratschlag würdest du Studierenden der CU auf dem Weg geben?

Macht das Beste aus euren Studentenjahren - arbeitet WIRKLICH hart, denn ihr könnt das später nicht nachholen. Arbeitet jetzt für eure Träume, damit sie in der Zukunft noch mehr wachsen können.

 

 

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