Respekt verhindert Radikalisierung
14. Dezember 2015 Eine kleine Zahl von Immigranten wendet sich gegen die westliche Gesellschaft, in der sie leben. Wie kann es sein, dass es junge Menschen gibt, die etwa im demokratischen Frankreich oder Belgien aufgewachsen, oft sogar geboren sind, sich dann aber als Kämpfer am „Dschihad“, dem so genannten Heiligen Krieg beteiligen, Attentate planen und ausführen? Welche Faktoren führen dazu, dass diese Menschen zu Terroristen werden? Eine Befragungsstudie unter Beteiligung der Jacobs University aus Bremen hat jüngst die psychologischen Prozesse untersucht, die einer Radikalisierung vorausgehen. Einer der Schlüsselfaktoren für das Abgleiten von muslimischen Immigranten in die Radikalität sei die Frage der kulturellen Zugehörigkeit, so die Autoren der Studie, die das Ergebnis eines Gemeinschaftsprojekts der University of Maryland (USA) und der Jacobs University unter Federführung von Prof. Dr. Michele Gelfand (University of Maryland) und Prof. Dr. Klaus Boehnke (Jacobs University) ist. Besonders gefährdet seien diejenigen, die kulturell heimatlos seien, die sich weder mit der vorherrschenden Kultur ihrer Herkunftsländer noch mit der ihrer Ankunftsländer identifizieren. Dieser Prozess der Marginalisierung verschärfe sich, je mehr diese Personen ausgegrenzt werden, sich diskriminiert fühlen und den Verlust von persönlicher Bedeutung erfahren. Radikale Gruppen seien für diesen Personenkreis attraktiv, weil sie nach dem Freund-Feind-Schema ein klares Zugehörigkeitsgefühl vermitteln. Die Studie mit dem Titel „Der Kampf um Zugehörigkeit: Die Marginalisierung von Immigranten und das Risiko einer hausgemachten Radikalisierung“ basiert auf der Befragung von 464 Muslimen, davon 204 in Deutschland, die zwischen Dezember 2013 bis Juni 2014 durchgeführt wurde, für die vor allem Sarah Lyons-Padilla verantwortlich zeichnet, die mittlerweile an der Universität von Stanford tätig ist. Die Befragung wandte sich gezielt an junge, gut gebildete Muslime. Etwa die Hälfte der Befragten waren Studierende. Unterschieden wird in der Studie zwischen vier Strategien der „Akkulturation“, der Begegnung mit der neuen Kultur, die Immigranten anwenden. Zum einen ist da die Assimilation, die vollständige Anpassung unter Aufgabe der Heimatkultur. Ihr gegenüber steht die Marginalisierung, die fehlende Teilhabe an der Aufnahmekultur ohne an der Heimatkultur festzuhalten. Die Separation hingegen vermeidet jeden Kontakt mit der Aufnahmekultur und verlässt sich auf die Heimatkultur. Wer auf die Integration setzt, will teilhaben an der neuen Kultur ohne die alte aufzugeben. 89 Prozent der Befragten gaben an, sie fühlten sich als Teil von Deutschland. Gleichzeitig herrschte der Eindruck vor, dass die Deutschen von ihnen eine Assimilierung erwarten, die die Immigranten aber mehrheitlich ablehnen. 77 Prozent stimmten der Aussage zu, in Deutschland gebe es ein nicht unerhebliches Ausmaß an Islamophobie. Wobei weniger als zehn Prozent selbst Opfer von Diskriminierung aufgrund ihrer Religion oder Kultur geworden sind. Auffällig ist: Je stärker die Teilnehmer sich diskriminiert fühlten, desto weniger waren sie bereit, die Werte ihrer Herkunftsländer zugunsten der in ihrer neuen Heimat vorherrschenden zurückzustellen. „Unsere Studie belegt: Je mehr die Immigranten sich respektiert fühlen, desto weniger anfällig sind sie für eine Radikalisierung“, sagt Dr. Marieke van Egmond, Co-Autorin der Studie und Psychologin. Klaus Boehnke, Professor für Social Science Methodology, ergänzt: „Wir sollten uns in Deutschland darauf konzentrieren, Integration nicht nur in einem formalen Sinne zu verbessern, also etwa den Sprachunterricht oder die kulturelle Bildung, sondern wir sollten Respekt für andere Lebensweisen zum Ausdruck zu bringen. Insbesondere mangelnde Anerkennung für die Lebensleistung von jungen Immigranten ist kontraproduktiv. Es wurden ganz überwiegend Muslime mit einem erfolgreichen Bildungswerdegang befragt. Denen mangelt es nicht an formaler Integration, sondern an Anerkennung. Dies wirft sie zurück auf Lebenssichten, die in der Herkunftskultur ihrer Eltern eigentlich gar nicht mehr favorisiert werden, etwa der Überzeugung, man müsse sich am Dschihad beteiligen.“ Fragen beantwortet:Prof. Dr. Klaus Boehnke | Professor für Social Science Methodologyk.boehnke [at] jacobs-university.de | Tel.: +49 421 200- 3401 Kontakt:Kristina Logemann | Brand Management, Marketing & Communicationsk.logemann [at] jacobs-university.de | Tel.: +49 421 200- 4454